Festrede über Wolfgang Alexander

von Detlef Johannson, gehalten als Festvortrag zur Preisverleihung am 16.2.2009

Es mag vor 35 Jahren gewesen sein, um die Zeit der späten Nachmittagsstunden eines schönen Sommertages, als Wolfgang Alexander einen Kasten Bier in die Redaktion des Göttinger Tageblatts schleppen ließ. Die verdutzten Gesichter der Kolleginnen und Kollegen quittierte er mit der Kurzen Bemerkung: Torte kommt noch.

Fast noch schroffer nahm sich seine Antwort auf die nahe liegende Frage nach dem Grund für die überraschende Bewirtung der Redaktion aus: „20 Jahre abbes Bein“. Das müsse ja wohl gefeiert werden. Sprach’s und ließ keinen Zweifel an seiner Erwartung aufkommen, dass sich jeder dem guten Zweck unterzuordnen habe – bis zum letzten Tropfen.

Diesem Wunsch haben wir folgsam entsprochen. Etwas Torte hat die Feier im Redaktionskühlschrank bis zum nächsten Tag überdauert.

An diese wahre Begebenheit habe ich spontan gedacht, meine Damen und Herren, als mich Jens Wortmann vor ein paar Wochen bat, die Festrede im Rahmen der Verleihung des Alexanderpreises zu halten. Ob die Rede festlich werde, könne ich nicht versprechen, schrieb ich ihm. Und überhaupt: Ein Thema, geschweige denn einen Titel hätte ich nicht parat.

Daran hat sich bis zu diesem Augenblicks nichts geändert. Ich plappere hier eigentlich munter d’rauf los in der Hoffnung, dass sich die Kleist’sche These von der allmählichen Entwicklung des Gedankens beim Schreiben - ich ergänze mal: auch beim Reden – in meiner Person erfolgreich bestätigt.

Auf der Suche nach dem winzigen Anfang eines leitenden roten Fadens erinnerte ich mich dieser anekdotenhaften Begebenheit: Mein Gott, das Jubiläum eines unglückseligen Beinverlustes nach einem Motorradunfall zwischen Bovenden und Göttingen zu feiern. Sieht man einmal von den bösen Folgen für den leidtragenden Wolfgang Alexander ab - das war nichts Anderes als zu Chillen oder Workout – Partys zu besuchen, wie das heute gepflegt wird. Es war nur nicht so in.

Und schwupps, schon ist der befürchtete Satz da: Mensch, was waren das für Zeiten. Keine Sorge, wir werden jetzt nicht in der verstaubten Klamottenkiste des GT kramen. Aber anknüpfen wollte ich schon an die aktiven journalistischen Zeiten des Stifters Wolfgang Alexander, damals, vor, sagen wir einmal, 35 Jahren, als ganz Deutschland aufstöhnte angesichts eines massiven Zeitungssterbens, angesichts dessen, was man Pressekonzentration nannte.

Das beschreibt die Umstände, unter denen Wolfgang Alexander in jenen Tagen arbeitete, ein Mann, der in den Kategorien des klassischen Print – Journalismus’ zu denken gewohnt war und der bei aller Phantasiebegabung, die ihm durchaus eigen war, nicht ahnen, nicht hoffen, aber auch nicht befürchten durfte oder musste, dass der von ihm gestiftete Preis irgendwann einmal für Beiträge des Online – Journalismus vergeben werden könnte.

Wie wäre es denn, dachte ich mir, aus Sicht der Göttinger Öffentlichkeit mit ein wenig Kenntnissen des Insiders zu rekapitulieren, was aus den Befürchtungen für die Informations- und Meinungsvielfalt in Göttingen ein paar Jahrzehnte später geworden ist.

Ziehen wir also am Gummiband des Weckglases voller Ein- und Ansichten und machen wir uns für ein paar Minuten an’s Eingemachte.

Zu Erinnerung: Göttingen galt schon kurze Zeit nach der geschilderten Begebenheit als sogenannter „Ein – Zeitungskreis“, das war eine schmähende Abstempelung, die für den Verdacht provinzieller Öde stand und dazu noch suggerierte, eine ganze Region sei nun der Willkür eines auch noch erzkonservativen Heimatverlegers ausgeliefert.

Der „Ein – Zeitungs- Kreis“ war im ersten Schritt durch den Rückzug der Göttinger Presse entstanden, im zweiten durch die verlegerische Flurbereinigung, auf die man sich zwischen den beiden großen Pressehäusern in Hannover und Kassel verständigt hatte.

Warum das GT allein mit einem kompletten Lokalteil erscheint, warum die HNA mit – wenn man so will – angezogener Handbremse arbeitet? Wer weiß das schon noch? Wer weiß denn noch, dass HR 3 in jenen Jahren der beliebteste Hörfunksender hierzulande war? Dem Umstand zu verdanken, dass der NDR im Süden Niedersachsens flächendeckend jedenfalls nicht zu empfangen war. Einige von uns lebten – in Analogie zur Region um Dresden in der ehemaligen DDR, die kein Westfernsehen erreichte – sie lebten gleichsam im Leinetal der Ahnungslosen.

Der NDR war hier nicht nur zu nicht zu hören, er berichtete auch nicht von hier. Mit ein paar Nachrichten versorgte ihn der amtierende Lokalchef des GT, der auch den Deutschlandfunk belieferte. Es gab einen dpa – Redakteur, der zwischen Osterode und Hildesheim zu kurven hatte, um seine Aufgabe zu erledigen. Und der es mindestens ebenso liebte, gut zu leben wie hart zu arbeiten.

Und wir hatten den Göttinger Blick, von übermächtigen Redaktionsleitern damals zumindest an der Grenze zur Egomanie geführt, und dennoch im Schatten des GT. Echte Konkurrenz ereilte ihn erst später durch die freilich vorübergehende Blütezeit des Göttinger Freizeit Magazins . Allerdings und das gilt bis heute: Auch die zu 100 Prozent insertionsfinanzierten sogenannten Anzeigenblätter haben in Göttingen stets einen publizistischen Ehrgeiz entwickelt, der sie um Klassen über vergleichbare Periodika stellt, wie ich sie in anderen Städten lesen musste. Damals wie heute.

Ach ja. Und dann gab es einen bunten Gazettenreigen im Umfeld der Universität, allen voran die Kommunistische Volkszeitung, der die bezahlten Lohnschreiber der Brüder Wurm Woche für Woche entnehmen durften, wie schändlich ihr Tun ihr Wirklichkeit sei.

Das war’s. So ziemlich.

Und heute? Wenden wir unserem Blick einem hoffentlich typischen Göttinger Bürger zu, der sich frühmorgens noch etwas schlaftrunken auf den Weg zum Briefkasten macht, um nach der aktuellsten Ausgabe des Göttinger Tageblatts zu greifen. Die ersten Lokalnachrichten hat er übrigens schon intus. Sein Radiowecker ist auf den Empfang des Stadtradios Göttingen programmiert.

Der gute Mann – aber bevor mich die tosende Welle des Gender Mainstreaming restlos wegspült, sage ich lieber gleich: es könnte auch eine Frau sein – der gute Mann also wird tagsüber den Kontakt zu den Hörfunkmedien nicht verlieren, mal die lokalen Göttinger Fenster von Radio ffn oder von Hitradio Antenne hören, im Auto oder am Arbeitsplatz, oder NDR Radio Niedersachsen, und dabei immer wieder auch Nachrichten aus unserer Stadt hören. Alles produziert in drei eigenen Göttinger Studios.

Er wird vielleicht tagsüber in überregionalen Medien blättern, in der Zeitung, hinter der immer ein kluger Kopf steckt beispielsweise, oder in der Zeitung mit den vier Buchstaben, die ins rote Eckige müssen. Meldungen über und aus Göttingen nicht ausgeschlossen. Denn hier arbeiten Repräsentanten der Deutschen Presseagentur und des Evangelischen Pressedienstes. Und mehr als eine Handvoll freier Journalisten beliefert Deutschland und die ganze Welt. Hier ist der kleine, aber feine Presse – Info – Dienst zu Hause.

Unser Medien – Mustermann wird am frühen Abend Augen und Ohren den regionalen Programmen von RTL und SAT 1 leihen oder „Hallo Niedersachsen“ schauen – immer wieder auch bestückt mit Göttinger News, aus der Wissenschaft etwa , aus den Sälen der Gerichte oder direkt vom Boulevard. Darunter werden auch Beiträge von Göttingen TV sein, mit Sitz im (sic !!) Medienhaus an der Lokhalle.

Er greift gewiss nach der Kundenzeitung der Stadtwerke Göttingen AG oder der Göttinger Sport und Freizeit GmbH, die er frühmorgens ebenfalls in seinem Briefkasten vorgefunden hat. In Reichweite liegen noch der Extra Tip vom vergangenen Sonntag und der fast druckfrische Blick. Während einer Lesepause besinnt er sich seiner letzten Bahnfahrt nach Hannover und der jüngsten Ausgabe des „RegJo“, die er in seinem Abteil fand. Und er erinnert sich an seine spontane Reaktion: Fast so viel Hochglanz - Qualität wie die „Georgia Augusta“, denkt er sich, wie das publikumswirksame Flaggschiff der Universitätsveröffentlichungen und genauso professionell gestaltet wie der „Faktor“, das Göttinger Entscheidermagazin, das er ja auch noch bezieht.

Auf ein Bier noch, sagt er sich, um – angekommen in seiner Stammkneipe – gleich in den neuesten Ausgaben von Trends & Fun und des Magazins 37 zu blättern. Ah! Das liegt ja auch der „diggla“, die kulturelle Lieblingslektüre seines Sohnes, der allerdings auch „Revista“ nicht verschmäht, das monatliche Blatt des AStA, auch nicht „Mensa Spezial“, die Hauszeitung des Studentenwerks, in die man sich hungrig wie satt gern vertieft, wenn der Blick nicht gerade auf die Bildschirme von Mensa TV gerichtet ist.

Für die Jüngste, denkt er sich, ist das ja noch nichts. Aber Gottseidank gibt es „Moskito“, das Familien- und Kindermagazin aus Göttingen. Auf mehr als zwei Bier lässt sich der unfreiwillige Held unserer Tagesbeobachtung nicht ein. Auf seinem Nachtschrank warten nämlich ungelesen das kleine Mitteilungsblättchen aus seinem Ortsteil und „Polis“, das ganz andere Stadtmagazin. Ein paar Minuten noch – bevor ihm die Augen zufallen bis zum morgendlichen Weckruf durch das Stadtradio. Siehe oben.

Eindruckvoll, oder? Vorbildlich, der Mann, nicht wahr? Und dabei haben wir uns absolut nicht dafür interessiert, ob er auch noch Spiegel- oder Bayernkurierleser ist, ob er vielleicht eine Verbraucherzeitung abonniert hat oder ein Magazin, seinem Hobby gemäß, ob er Vereinsmitglied ist und regelmäßig die Clubzeitung studiert, ob er einem der zigtausend Fachtitel, die in Deutschland erscheinen, die Abonnententreue hält , von Docma (Doc Baumanns Magazin für digitale Bildbearbeitung) über KSI (Zeitung für Krisen-, Sanierungs- und Insolvenzberatung) bis „metall aktuell“ (Mitgliederzeitschrift des Landesinnungsverbandes Metall für den Wirtschaftsraum Nordrhein – Westfalen, Niedersachsen und Bremen). Wir wissen nicht, ob er ihnen mehr oder weniger regelmäßig Aufmerksamkeit leiht, man muss schon sagen: leihen kann. (Denn dieser Mann kann wahrscheinlich nicht mehr regelmäßig arbeiten, will er auch nur annähernd die Fülle der lokalen und regionalen Informationen aufnehmen, die man ihm unterbreitet).

Dabei haben wir den Internetanschluss der Familie völlig außer Acht gelassen. Das moderne Informationsmedium an sich, auf dessen Möglichkeiten wir aber noch zu sprechen kommen werden. Ich habe mich konzentriert ausschließlich auf mittlerweile „klassische“ Informationsmöglichkeiten mit lokalem oder regionalem Bezug. Und muss aber der guten Ordnung halber erwähnen: fast alle genannten Medien verfügen – selbstverständlich – auch über ein online - Angebot.

Ich muss zweitens mich selbst in Sicherheit bringen angesichts der Schelte, die mich wegen eines Mangels an Vollständigkeit zu Recht erreichen wird. In den phantasierten Tagesplan passten irgendwie nicht die HNA oder Sportissimo, die Veröffentlichung des Stadtsportbundes“ oder die neue Göttinger Fußballzeitung“ etwa. Oder das regionale Magaztin für Göttinger Senioren. Seien wir beruhigt: Ich habe auch noch andere Medien nicht genannt oder schlicht vergessen. Und einige weitere kenne selbst ich vermutlich nicht einmal.

Egal. Aufgeräumt haben wir damit ein für allemal mit den publizistischen Endzeitvisionen vom Ein - Zeitungs – Kreis. Wir haben – und deutlich mehr und bunter als in anderen Kommunen unserer Größenordnung – publizistischen Wettbewerb. Und vor allem: So viel Information war nie. Aus Kundensicht ergänze ich: Vieles davon sogar kostenlos.

Also Alles Paletti? Brust raus, Kopf hoch und stolz geschritten durch die Göttinger Medienlandschaft.? Mitnichten.

Da gibt es natürlich eine Reihe von Haken, an denen das schöne Bild von unserer lokalen Mediengesellschaft bisweilen auch schief hängt. Der immense technische Fortschritt, der in den Räumen und in der Arbeit der Redaktionen Einzug gehalten hat, ist Chance und Fluch zugleich. Dazu sollte man wissen: Auch im Vergleich zu den ohnehin schon tiefgreifenden Veränderungen in der normalen Büro – Kommunikation, wie sie viele von uns kennen, sind die Neuerungen in der Medienwirtschaft noch gewaltiger.

Das war schon revolutionär, was sich dort in den letzten Jahrzehnten getan hat. Ungefähr so, als wenn Fidel Castro, Mao Tse Dong. Patrice Lumumba und vielleicht noch ein vierter Weltveränderer traut im Redaktionskasino zusammengesessen hätten, um dann unisono festzustellen: Den Laden, den mischen wir jetzt mal richtig auf.

Indeed. Das ist ihnen gelungen. Und ich kann ihnen Einzelheiten dieses manchmal auch leidvollen Prozesses ersparen, der im Ergebnis eben nichts mehr gemein hat mit dem Geklapper mechanischer Olympia – Maschinen, mit Texten auf schlichtem unlinierten Manuskriptpapier und den Anfängen eines Zeitungslayouts, das sein Entstehen zu 50 Prozent dem individuellen Geschmack eines Redakteurs sowie technischen Zufälligkeiten und zur anderen Hälfte der Laune und dem Können eines diensthabenden Metteurs (Wer weiß noch, was das war?). zu verdanken hatte. Das war, zur Erinnerung, die Welt von „alex“.

Keine 40 Jahre her. Kein Gedanke an Rechner, elektronische Post, Handy und Blackberry, oder an eine dagegen fast schon plumpe Errungenschaft wie das Fax, das selbst bereits an der Grenze zur Museumsreife steht. Sei’s drum: Die neue Technik schafft wunderbare Voraussetzungen für wunderbare Medienarbeit. Und mein Eindruck ist, dass die meisten Göttinger Medien diese Möglichkeiten auch bestens nutzen.

Dagegen steht meine Befürchtung: Die Arbeit unter diesen reichen Bedingungen macht auch ärmer. Texte, Fotos, Filme, Töne – alles lässt sich elektronisch beschaffen, digitalisieren und bearbeiten, so dass daraus eine Seite oder eine Sendung werden kann. Flugs. Tastatur und Bildschirm möblieren die berufliche Heimat der Redakteure mit Halbpension im Newsdesk - Room und machen sie, die Redakteure und Journalisten. auch ein Stück einsamer. Auf Sicht: dem Leben entfernter.

Das ist noch kein Abbild Göttinger Wirklichkeit. Aber eine realistische Perspektive: Die ersten amerikanischen Heimatverleger lassen ihre Zeitung in Indien produzieren von bestens qualifizierten, aber eben billigen Mitarbeitern, die freilich nie einen Fuß in die Stadt gesetzt haben, der sie so trefflich medial zuarbeiten. Und das ist vermutlich erst der Anfang.

Warum ich das für eine Fehlentwicklung halte? Weil die lokalen Medienmacher so die erlebte Nähe zu Stadt und Region zu verlieren drohen. Sie wirken auf Dauer nicht mehr überzeugend identitätsstiftend. Das sollten sie aber sein, ganz egoistisch allein aus publizistischem wie ökonomischem Interesse. Denn vor allem wer sich Stadt und Region verbunden weiß, wird Göttinger Geschichten und Nachrichten, Reportagen und Features aus und über Göttingen lesen, hören und sehen wollen.

Die Forderung nach erlebter Nähe, wie ich sie verstehe, steht im übrigen überhaupt nicht im Widerspruch zur kritischen Distanz, die Journalisten brauchen. Ganz im Gegenteil. Wer nicht hinterfragt, nicht nachbohrt, nicht zweifelt – der hat ohnehin sein Handwerk nicht gelernt.

Zumindest die tagesaktuellen Medien auch in Göttingen reagieren: Die schrittweise Verabschiedung vom Terminjournalismus ist eine der Antworten. Die man gut nachvollziehen kann. Sie macht Kräfte frei für die Erarbeitung von Exklusivität und die Präsentation von Alleinstellungsmerkmalen. Mehr Information als Service für den Lebensalltag gehört ebenso dazu. Und der spürbare Drang zur Personalisierung von Themen, nach meinem Empfinden mitunter grenzwertig, weil nicht in jedem Fall der überzeugende Beweis dafür gelingt, dass das Einzelschicksal nur als Beispiel dient und nicht doch als Objekt des öffentlichen Voyeurismus. Aber trösten wir uns: Auch den hat es gegeben, seit es Massenmedien gibt.

Schnitt, an dieser Stelle, die jede Menge Stoff für weitere grundsätzliche Betrachtungen birgt. An ihnen kann sich – auch mit Gegenrede – ja durchaus der eine oder andere unserer Göttinger Akteure in naher Zukunft versuchen. Herr Wortmann darf Festredner der kommenden Jahre in diesem Sinne gern schon mal vornotieren.

Der zweite Haken: Abgesehen vom Göttinger Tageblatt mit seiner regionalen Komplettredaktion - die meisten in Göttingen tätigen Redaktionen arbeiten unter besonders harten Bedingungen mit nur wenigen hauptamtlichen Kräften. Sie sind ganz wesentlich auf die Zuarbeit von Praktikanten und freien Mitarbeitern angewiesen, an denen in unserer Stadt erfreulicherweise nie ein Mangel herrscht. Viele tüchtige, engagierte Leute dabei. Ohne Zweifel. Aber eben keine hauptamtlichen und keine voll ausgebildeten Redakteure und Journalisten.

Soll heißen: Vorsicht, verehrtes Publikum – das große Göttinger Medienhaus, dessen Bild ich Ihnen zu skizzieren versuche, hat auch seine strukturellen Mängel. Fassade vielfach Tiptop, doch im Gebälk da knirscht es manchmal schon.

Und wir haben, meine Damen und Herren, an dieser Stelle über das Internet zu reden, über die neuen Medien insgesamt, die sich mehr und mehr zur schier übermächtigen Konkurrenz für das – sagen wir einmal – klassische Angebot entwickeln, das wir seit Jahrzehnten kennen.

Daran kommt keiner mehr vorbei, an dieser umfassenden und profunden Informations- und Wissensquelle, die uns 24 Stunden am Tag fast überall auf der Welt zur Verfügung steht. Mit einem nicht mehr zu übersehenden Berg an Daten, den zu besteigen, hochintelligente Suchfunktionen in Zehntelsekundenschnelle möglich machen. Medienhistoriker, da bin ich mir sicher, werden ihre Geschichte irgendwann in die Zeit vor und nach Entwicklung des world wide web teilen.

Die Auswahl ist unvorstellbar riesig. Natürlich kann ich im Internet auch Zeitung lesen, Filme schauen, Nachrichten recherchieren, nach Veranstaltungen suchen. Lokal wie global. Mittels Notebook sogar in fast jeder Lebenssituation, die man ansonsten nur in Verbindung mit Gedrucktem kannte: am Schreibtisch, auf dem Sofa, im Zug oder im Bett. Egal.

Ich will die zum Teil Besorgnis erregenden Schattenseiten des Internet nicht ausleuchten. Sich damit zu beschäftigen, ist enorm wichtig. Für unsere Betrachtung heute Morgen allerdings weniger.

In Göttingen, schätzt man, haben mindestens 60 bis 70 Prozent aller Haushalte Zugang zum Internet. Durch private Rechnernutzung zu Hause, in der Schule, in der Hochschule, am Arbeitsplatz. Das Internet kann schon jetzt als kombinierte Alternative zu Printmedien, Hörfunk und Fernsehen betracht werden.

Für die Redaktionen bedeutet das „journalistische“ Konkurrenz, die man ernst nehmen muss, auch wenn sie vielfach nicht nur hochprofessionell, sondern oft auch wie amateurhaftes elektronisches Handwerk daherkommt. Die Verlage erfahren zusätzlichen wirtschaftlichen Wettbewerb. Denn immer mehr Internetseiten sind mittlerweile werbefinanziert.

Die Reaktion der Medien besteht nicht in der Ansage des bedingungslosen Kampfes, der wohl ohnehin verloren ginge, sondern in der kontrollierten Offensive. Ich kenne kaum ein Printmedium, das sich nicht selbst auch online präsentierte. Man nutzt alle synergetischen Möglichkeiten, um das eine zu tun, ohne das Andere lassen zu müssen.

Das Göttinger Tageblatt ist auf diesem Weg besonders weit und besonders mutig. Es hat einen Fächer medialer Angebote geschaffen – e-paper, lokale Filme und Videos, aktuelle Podcasts, online – Befragungen und online – Nachschlagewerk, also auch Möglichkeiten der aktiven Teilhabe. Entstanden ist ein Medien – Mix, in dessen geschützter Mitte die gute alte Tageszeitung in gedruckter Form einen sicheren Platz behalten soll.

Die Redaktion geht in die Klassenräume der nächsten und der übernächsten Generation von Internetnutzern und lässt Tageszeitung, lokale Tageszeitung dort handfest und verständlich erleben. Nicht nur, aber auch weil einer der Faktoren des demografischen Wandels die Zahl der klassischen Tageszeitungsleser ganz natürlich kleiner werden lässt.

Es gibt natürlich noch andere Beispiele für diese Cross – media – Ansätze in einer Hand, etwa in der Verbindung des Stadtmagazins 37 mit der Internet – Community „goettingeneins.de“.

Meine Damen und Herren,

wir freuen uns zu Recht über die Vielfalt der Medienangebote in unserer Stadt. Wir applaudieren den Medienschaffenden, die zu weiten Teilen mit großem Engagement, ja sogar mit Leidenschaft und überwiegend auch mit ernst zu nehmender Professionalität ans Werk gehen. Wir registrieren mit Befriedigung – und ich wiederhole es gern: So viel Information war nie.

An einigen wenigen Beispielen habe ich versucht, deutlich zu machen, dass unser Göttinger Mikrokosmos aber nicht ganz so heil ist, wie wir uns das vermutlich wünschen. Und ein bisschen mehr Wasser in den Wein hinein muss nun zum Schluss noch sein. Oder anders: Wer Schorle trinkt, muss auch Schorle predigen.

Was wäre nämlich, wenn wir kundigen Medienwirte unsere Rechnung ohne den Gast gemacht hätten? Ich befürchte, das ist vielfach so. Ein Beispiel mit ein paar Zahlen soll das Problem anschaulich beschreiben, das mich umtreibt.

Eine Untersuchungsergebnis behauptet: Nur etwa zehn Prozent ihrer Zuschauer erfasst alle Nachrichten und –beiträge einer Tagesschau - Sendung von der ersten bis zur letzten Minuten richtig und vollständig. Die über jeden Qualitätszweifel erhabene Großmutter aller Nachrichtensendungen in Deutschland hat im Schnitt fünf Millionen Zuschauer. Von den rund 82 Millionen Deutschen sollten – sagen wir mal – 50 Millionen mindestens ihrem Alter nach in der Lage und interessiert sein, täglich eine Nachrichtensendung wie die Tagesschau zu verfolgen.

Einen kompletten Informationswert hat sie aber für gerade einmal ein Prozent, für 500.000 von 50 Millionen. 500.000 das entspricht der Größe Nürnbergs. Viel Aufwand und wenig erreicht, kann man da nur sagen. Frage also: Erreichen wir unsere Leser, Zuschauer und Hörer überhaupt? Offenbar nicht, und offenbar auch nur verschwindend wenige mit der Vielfalt und Menge unsere Informationen und Meinungen. Da bleibt noch viel zu tun.

Aber das Problem ist sogar noch viel größer: Wir – und damit schaue ich Sie und mich an – haben uns gemütlich eingerichtet in unserer bildungsbürgerlichen Umgebung. Wir wissen: Wissen kann machtvoll sein. Information schafft Voraussetzung für Mitreden, für Mitentscheiden, für Teilhabe an unterschiedlichen Prozessen in unserer Gesellschaft.

Wir denken viel zu selten an die große Zahl der Haushalte, in denen es kein Buch gibt, die keine Tageszeitung kennen. In denen Radio hören ein Synonym ist für „Musik hören“. Und fernsehen für das Zappen zwischen Daily Soap und infantilem Glückspiel. Zum Beispiel: Nennen Sie eine Automarke mit „A“. Haushalte, in denen das Internet nicht der allgemeinen Informationsbeschaffung dient, sondern dem Chatten, der Flirtline oder der Versandhausbestellung.

Der Spiegel hat das in einem Beitrag seiner Ausgabe vom 26. Januar wunderschön auf den Punkt gebracht. Ich zitiere: „Man mag das furchtbar finden. Man mag sich wünschen, dass die Nation nur Deutschlandfunk hört, über den neuen Roman von Daniel Kehlmann debattiert und abends im Familienkreis Blockflötensonaten anstimmt. Aber das ist nicht die Realität.“

Noch Fragen? Sicherlich viele, die zu stellen ich mich nicht scheue, die zu beantworten freilich auch meine Möglichkeiten überfordern, Ihre Aufmerksamkeit überstrapazieren und den Rahmen dieser kleinen Festrede sprengen dürften. Geben wir sie – mein Vorschlag – auch den ausgezeichneten Preisträgern, denen ich schon einmal herzlich gratuliere, mit auf ihren weiteren Weg. Denn: Auszeichnung verpflichtet.

Sie werden auf der Suche nach Lösungen wie ich sicherlich schnell bei gängigen gesellschaftspolitischen Forderungen landen: Frühestmögliche und kontinuierliche Sprach- und Leseförderung! Oder: Mehr Bildungschancen für Alle!

Sie werden aber vielleicht auch nur einen der ältesten und beständigsten Grundsätze der Kommunikationswissenschaft memorieren: Wichtig ist nicht, was gesendet wird. Wichtig ist, was ankommt. Sich als Medienmensch und –macher diesen Grundsatz – einmal wöchentlich genügt– vor den privaten Spiegel zu halten, ist hilfreich.

Man nimmt sich selbst auf einen Blick, auf einen Schlag viel weniger wichtig. Das tut nicht nur gut, das ist auch richtig. Ich weiß, dass „alex“ , dass Wolfgang Alexander, dem ich diesen bescheidenen, unvollständigen und sehr subjektiven Beitrag widme, mir im Nu augenzwinkernd zustimmt. Und damit wäre im Sinne dieser schönen Veranstaltung schon genug gewonnen.

Danke!