125 Jahre Göttinger Tageblatt

Würdigung von Dr. Achim Block

2015 02 07 Alexanderpreis 4Kuratorium und Jury unserer Alexander-Stiftung sind der Ansicht, dass unter den Publikationen des Jahres 2014 die „Sonderbeilage 125 Jahre Göttinger Tageblatt“ besonders zu würdigen sei. Dieses 156seitige Produkt ist eine journalistische Meisterleistung. Hier kommt das gesamte Spektrum der Zeitungserstellung mit ihren Wirkungsfeldern zu Wort und ins Bild.

Was alles wird da wiedergegeben und dargestellt!

Die Entwicklung der Zeitung in ihrer Verbundenheit mit dem Geschehen in Stadt und Region: Da ist einmal die gewaltige technische Veränderung in der Herstellung vom Bleisatz zum Offsetdruck-Verfahren in der neuen Rotation, die täglich 10 Millionen Seiten Zeitung produzieren kann; das ist zum anderen der räumliche Umzug aus der Innenstadt an die Autobahn; und da ist vor allem die regionale Erweiterung zu nennen, besonders die nach der Grenzöffnung ins Obereichsfeld. Um diese Entwicklungen authentisch nachzuzeichnen, kommen auch frühere Mitarbeiter zu Wort und werden wiederentdeckte alte Fotos neu gedruckt.

Zur Innenansicht der Zeitung gehören natürlich, jedenfalls aus den letzten vier Jahrzehnten, die Gesichter der sieben Chefredakteure und Hunderter Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Den langjährigen GT-Leser erfreut da das Wiedersehen mit früher wichtigen Zeitungsgestaltern wie z.B. dem Karikaturisten Carl-Heinz Dömken oder dem ehemaligen Anzeigenleiter Manfred Fritzsche.

Ein großer Anteil der Sonderbeilage ist der Sicht von außen auf die Zeitung gewidmet. Nicht nur die vielen Gratulanten zum Jubiläum, sondern vor allem die örtlichen Institutionen, Interessengruppen und Leserklientele äußern sich hier: Kommunalverwaltung und politische  Parteien, Landgericht, Feuerwehr, Polizei, Universität, Theater, Stiftungen, Einzelhandel, Vereine - sie alle leben ja im öffentlichen Bewusstsein auch durch die Berichterstattung des Göttinger Tageblatts und werten die Beziehung zur Zeitung hoch. So entsteht gerade durch ihre Beiträge ein vielfältiges Bild des gesellschaftlichen Lebens in unserer Stadt und ihrer Umgebung.

Auch die Fülle der Anzeigen gehört hierher, von der einige Stimmen meinen, es gebe allzu viele Reklameseiten in dieser „Festschrift“, aber man muss hier die Tüchtigkeit der wichtigen Werbeabteilung anerkennen und sieht an den Anzeigen deutlich die starke Verbindung zwischen Zeitung und heimischer Wirtschaft.

2015 02 07 Alexanderpreis 8Neben den Blicken in die Vergangenheit, auch die ideologische Rolle des GT im III. Reich wird, durch den Beitrag von Professor Aufgebauer, ernsthaft beurteilt, gelten viele Artikel der gegenwärtigen Arbeit. Dass die Zeitung online arbeitet und über das Internet verschiedenste Angebote macht, dass sie historische Video-Filme erstellt, dass die digitale Fotografie neue Möglichkeiten bietet, das Göttinger Tageblatt seine ersten Seiten jeweils von Madsack in Hannover erhält, seinerseits aber viele andere Zeitungsprodukte herstellt und weiterreicht - all diese in der modernen Zeit möglich gewordenen medialen Fortschritte werden kompetent erläutert.

So entsteht das Gesamtbild einer lebendigen regionalen Tageszeitung, die zeitnah und vielseitig informieren, Ereignisse kommentieren, Missstände aufdecken, ja vielleicht so etwas wie Bürgergemeinsinn entwickeln will.

In den Informationen und Berichten, welche die Sonderbeilage liefert, bleibt unausgesprochen, welchen Charakter, welches Leitbild das Göttinger Tageblatt nach eigener Vorstellung hat und vertritt. Geprägt wird der Charakter gewiss durch die Arbeit der Redakteure, deren jeder natürlich pers6nliche, individuelle Eigenart und Blickrichtung besitzt, woraus sich in der Redaktionskonferenz ein Konglomerat der Meinungen und Ansichten ergibt. Eine bestimmte weltanschauliche Sicht ist vermutlich nicht gewollt. Was veröffentlicht und wie es veröffentlicht wird, ist zunächst die Frage des engagierten Redakteurs, aber wirkt dann auch das Korrektiv durch ein Leitbild des Gesamtprodukts ein?

„Das bringen wir nicht“ - eine solche Haltung muss es sicherlich geben in Abgrenzung zu Skandal- und Hetzblättern, auch gegenüber parteipolitischen Publikationen. Aber worin besteht, positiv gewendet, so etwas wie die Identitätsmarke oder gar ein „Missionstrend“ dieser Zeitung?

Erlauben Sie bitte zum Schluss eine persönliche Bemerkung. Während der 20 Jahre meines politischen Mandats in Stadtrat und Landtag war ich oft mit Berichten des GT nicht einverstanden. Da wurde m.E. Wichtiges ausgelassen, wurden Akzente verschoben, Bericht und Kommentar vermengt. Ich wünschte mir, anderes zu lesen.

Aber: Angesichts der großen Aufgabe, Tag für Tag eine lesenswerte Zeitung zu schaffen, wie das in der Sonderbeilage sachkundig, vielseitig und anregend deutlich wird (beeindruckend die Skizze zum täglichen Arbeitsverlauf auf Seite 30-31), muss ich den Zeitungsmachern Respekt bekunden. Es ist eine Sisyphusarbeit, die sie da leisten. Doch nach Albert Camus soll man sich Sisyphus ja als „einen glück1ichen Menschen“ denken...

In diesem Sinne: Glückwunsch für die zukünftige Arbeit!